Mein Vater berichtet wie folgt darüber:
"Seine Eigenkonstruktion hatte Vater „Lalaghe“ getauft. Er hatte erfahren, dass im südmährischen Raum ein internationaler Segelflugwettbewerb stattfinden sollte und sich gleich zur Teilnahme gemeldet. Zu der von ihm zusammengestellten Mannschaft gehörte auch ich. So fuhren wir nach Klentnitz, in den Polauer Bergen, nahe Nikolsburg. Startplatz war der Plattenberg. Nach zwei bis drei Tagen, an denen Windstille herrschte und wir Einladungen der dortigen Weinbauern zu Kostproben in ihre Keller angenommen hatten, kam endlich der gewünschte Wind auf. Die Windrichtung stimmte auch, so dass man von guten Hangaufwinden auch entsprechende Startüberhöhungen erwarten konnte. Unter den ersten drei Mannschaften, die ihre Maschinen aufgebaut hatten, waren auch wir. Mein Vater startete als Dritter und hatte gleich so guten Aufwind, dass er in kurzer Zeit gleiche Höhe mit den beiden anderen erreichte. Sie flogen an der Hangkante hin und her und hatten fast 500 Meter erreicht, als in einer Kurve eine Maschine mit der meines Vater – Fläche in Fläche – zusammenstieß. Beide gerieten sofort ins Trudeln und stürzten gleichzeitig wie Steine auf die Erde zu. Ich habe noch heute das Knattern von Leinwand und abgerissenen Sperrholzteilen im Ohr, das bei ihrem Fall entstand. Nach wenigen Sekunden waren sie hinter der Bergkante verschwunden.
Ich war der erste, der loslief, die anderen waren noch vor Schreck erstarrt. In einem am Fuße des Hanges gelegenen Steinbruch sah ich die Trümmer einer Maschine, daneben den leblosen Piloten. Dass es mein Vater nicht sein konnte, stellte ich anhand eines neben diesem liegenden Hutes fest. Mein Vater hatte keine Kopfbedeckung getragen. Zur anderen Seite hin erspähte ich aber ein kleines Erlenwäldchen mit dichtem, armstarkem Bestand. Dort musste er zu finden sein. Ich lief darauf zu und schrie immer nur „Vater, Vater“, obwohl ich doch nach eben Gesehenem nicht damit rechnen konnte, dass er mich noch hören kann. Doch dann vernahm ich seine Stimme: „Hierher, hierher!“ Ich rannte, was ich konnte, darauf zu und fand ihn, äußerlich anscheinend unbeschadet, angeschnallt in seinem Sitz zwischen lauter Flugzeugtrümmern vor. Das erste, was er sagte war: „Greif in meine Brusttasche und zünd´ mir eine Zigarette an.“ Als ich das getan hatte, waren auch schon andere da, die mich gleich beiseite wiesen. So konnte ich seine Bergung nicht mehr sehen. Eins aber war mir klar: diesen armstarken Bäumen hatte mein Vater das Leben zu verdanken.
Zu gleicher Zeit befand sich auf Schloss Nikolsburg der Herzog von Windsor, der aus Liebe zu einer bürgerlichen Frau auf den Thron von England verzichtet hatte. Er war als interessierter Zuschauer Zeuge dieses Vorfalls geworden und da es keinen Sanka für einen Abtransport meines Vaters gab, stellte er seinen Wagen nebst Chauffeur zur Verfügung. Mein Vater war leichenblass, stöhnte ab und zu bei Erschütterungen auf, blieb ansonsten aber ohne Klagen. Im Nikolsburger Krankenhaus wurde nach nur ganz kurzer Untersuchung entschieden, dass ein weiterer Transport in ein spezielles Unfallkrankenhaus notwendig sei. Man verfrachtete hierauf meinen Vater – nun aber schon auf einer Trage – mittels Sanka nach Brünn, in das Urasowa Nemocnice. Ich fuhr nach Klentnitz zurück, wo die immer noch geschockte Mannschaft auf Nachricht wartete. Ihnen konnte ich nicht mehr sagen, als dass ich am nächsten Tag nach Brünn fahren würde, um mich an Ort und Stelle zu erkundigen.
Als ich tags darauf dort im Krankenhaus ankam, lag Vater in einem Bett, an dessen Fußende mehrere Gewichte hingen. Sie waren zur Streckung seines rechten Beines nötig, das sechs Mal gebrochen war, ein Schraubenbruch. Von weiteren schweren inneren Verletzungen war aber Gottseidank keine Rede. Das erste, was er von mir wissen wollte war: „Was ist dem anderen passiert?“ Ich durfte es ihm nicht sagen und wich derart aus, dass er – ein deutscher Student aus Brünn - vermutlich im Nikolsburger Krankenhaus verblieben sei. Mir übertrug Vater nur noch die finanzielle Abwicklung für den Heimtransport seiner Mannschaft und wir verabredeten einen täglichen Besuch.
Mutter hatte von diesem Ereignis im Radio gehört, wobei aber keine Namen genannt worden waren. Sie war daher äußerst besorgt. Ich klärte sie telefonisch auf, wobei ich aber den Ernst der Lage zu mildern versuchte. Acht Tage lang fuhr ich noch von Klentnitz aus nach Brünn zum Krankenbesuch. Mittlerweile hatte mein Vater auch schon die Wahrheit über das Schicksal seines Fliegerkameraden erfahren.
Das letzte Wochenende fiel in die Zeit des alljährlich ausgetragenen Masaryk-Ring-Rennens in Brünn. Der seinerzeit berühmteste deutsche Rennfahrer, Hermann Lang, war in einer Kurve in die Zuschauer gerast. Es gab viele Tote und Verletzte. In dem Augenblick, als ich vor dem Krankenhaus ankam, hielten zahlreiche Krankenwagen, die zum Teil ganz grässlich Verstümmelte ausluden. Es war ein erschütternder Anblick. Hermann Lang, selbst verletzt, teilte mit meinem Vater schließlich das Krankenzimmer. Ich fuhr, da laut Aussage der behandelnden Ärzte eine Krise überstanden war, wieder nach Hause."