...Keiner wusste, was mit mir in nächster Zeit geschehen sollte. Im Lazarett teilte man mir mit, dass ich wahrscheinlich zu einem Ersatztruppenteil versetzt werde, wo man meine weitere Wehrtauglichkeit erst feststellen müsse. Und so geschah es dann auch. Ich erhielt einen Marschbefehl zur Frontfliegersammelgruppe Quedlinburg. Dort traf sich alles, was aus irgendwelchen Gründen auch immer vorübergehend wehrfliegeruntauglich geworden war. Hier war gleichzeitig auch Sammelpunkt jener, die wegen Verstoßes gegen § 92(*) mit Festungshaft bestraft wurden und damit degradiert wurden, ehe sie wieder zur Frontbewährung freigestellt wurden. Es war also nichts Ungewöhnliches, wenn man etwa einen einfachen Flieger mit dem Deutschen Kreuz in Gold und weiteren Orden im Kreise von Generalstabsoffizieren sah. Unter uns galt dieses Delikt keinesfalls als ehrenrührig, bestenfalls als Ungeschicklichkeit.
(*) Anm. des Redakteurs: Nach § 92 wurden Piloten verurteilt, welche mit ihren Maschinen unnötige und riskante Handlungen vornahmen und somit das teure Kriegsgerät gefährdeten. Dies war z.B. der tiefe Überflug mit Rolle über dem Heimatdorf oder, was sehr häufig vorkam, über dem Wohnhaus der Freundin. ;-)
Hier waren Frontflieger aller Luftfahrt-Truppenteile vertreten, nicht nur Jagdflieger. Für uns war dies ein gewaltiger Nachteil. Stukas, Nah- und Fernaufklärer, Bomberpiloten und deren Besatzungen wurden je nach Dienstgrad behandelt. Die obligatorische Gleichgewichtigkeit, wie sie bei den Jägern gang und gäbe war, kannte man hier nicht. Der Umgang war zwar lässig, manchmal geradezu herausfordernd, von allgemeiner Fliegerkameradschaft aber war hier nicht viel zu merken. Es bildeten sich eigene Gruppen, die lieber unter sich bleiben wollten. Wenn ich sah, wie Bomberpiloten sich mit der eigenen Mannschaft nur in förmlichem Komißton unterhielten – wenn es dazu überhaupt einmal kam – war ich heilfroh, einen anderen Weg eingeschlagen zu haben.
Eine Episode aber möchte ich hier noch einfügen. Es gab in Quedlinburg eine ganz hervorragende Damen-Tanzkapelle, die uns täglich nach Wunsch aufspielte. Einer der bekanntesten Schlager war: „Heimat, deine Sterne“. An einem Tisch hatten sich die bereits erwähnten Degradierten zusammengefunden. Einer von diesen bestellte ein neues Stück und das hieß dann: „Heimat, wo sind unsere Sterne“. Das Hallo kann man sich vorstellen, als die Kapellmeisterin bekanntgab, dass dieses Stück sich zwölf Flieger mit einer Gesamtdienstzeit von 86 Jahren bestellt hatten. Dass sie fast ausschließlich Jäger waren, liegt wohl in der Tatsache begründet, dass meist nur diese die Möglichkeit zu gelegentlichen „Abstechern“ hatten. Unter den acht Genannten waren allein zwei Ritterkreuzträger!
Ansonsten gab es hier ein dauerndes Kommen und gehen. Spötter nannten diese Sammelgruppe einfach „Gammelgruppe“ und trafen damit den Nagel auf den Kopf. Man kam sich vor wie in einem Wartesaal eines großen Bahnhofes. Die zugewiesenen Zimmer waren zwar reinlich aber spartanisch eingerichtet. Die Koffer bzw. Fliegerkleidersäcke lagen meist gepackt auf den Spinden und man entnahm ihnen das gerade Gebrauchte, um sie gleich wieder zu verschließen. Man war sozusagen immer auf dem Sprung.